
DZLA Serie: Kritisches Glossar
„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Dieses bekannte Diktum von Immanuel Kant findet auch im Pflegealltag seinen Widerhall: ohne ein Minimum an psychiatrischer Begrifflichkeit können Wahrnehmungen zu Verhalten, Erscheinung und zum Befinden schlecht beschrieben und unterschieden werden. Dies aber ist nicht nur für die Diagnose wichtig, sondern auch für Beobachtungen zu Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten und dem Effekt nicht-medikamentösen Massnahmen.
Immer wieder erscheinen Veröffentlichungen, die Begriffe aus dem Arbeitsfeld Gerontopsychiatrie neu beleuchten, abgrenzen, differenzieren – die Begriffe sind einem stetigen Wandel unterworfen: Handelt es sich beim Wunsch eines Demenzkranken, nach Hause zu gehen, um eine Psychose, – und wenn nicht, warum?
Kann die Rast- und Ruhelosigkeit einer Person mit Demenz als Dissoziation beschrieben werden, – und wenn, unter welchen Umständen? Was ist genau mit agitiertem Verhalten gemeint – im Unterschied zu aggressivem Verhalten?
Da es in der Psychiatrie keine durchgängig zuverlässige Zuordnung von Symptomatik und Ätiologie, also der Ursache gibt, tauchen viele Begriffe sowohl in dem einen wie auch in dem anderen Zusammenhang auf. Zuweilen verbirgt sich hinter einer Erkrankungsbezeichnung nichts anderes als die Beschreibung eines Syndroms, dem eher weniger als mehr eindeutige organische Korrelate zugewiesen werden können. (Bsp.: Schizophrenie) Häufig sind diese ‚Korrelate‘ unspezifisch und treffen auf mehrere Erkrankungen zu. Sache und Sprache sind in der Psychiatrie schwer zu trennen, da es oft unabhängig von der Beschreibung keinen Referenzrahmen gibt (wie z.B. einen Muskel oder eine Zahnwurzel). Mehr als in anderen Disziplinen gilt hier, dass die ‚Sache‘ davon abhängt, wer hier wie beschreibt. Die Beziehung von Sprache und Wirklichkeit stellt ein Grundproblem der Psychiatrie dar – was nicht heisst, diese Unterscheidung leichtfertig aufzugeben.
Und darüber hinaus: Begriffe bestimmen Diskussionen und Argumente, damit auch Begründungen und Legitimierung von Normen, Institutionen und Macht – eben auch die Macht der Psychiatrie. Begriffe und Argumente bestimmen, was gesagt werden kann und wie es gesagt werden muss, damit der Sprecher ernst genommen wird. Sprache bestimmt Wirklichkeit, Zuordnungen, Normen und Handeln: so gilt Demenz denn als ‚Krankheit‘, so wird Personen mit Stimmenhören nahegelegt, sich Behandlungen zu unterziehen. Allerdings kann beides bestritten werden. Die Arbeit am Begriff kann helfen, sich von einseitigen Sichtweisen zu lösen und ein Phänomen auch als nutzbare Ressource zu deuten. Insgesamt soll die Arbeit am Begriff Pflegende und Betreuende ermutigen, sich mit der Sprache und ‚Wirklichkeit‘ der Psychiatrie vertraut zu machen, aber auch eine eigene Sprache zu finden, die mehr dem subjektiven Erleben in der pflegerischen Beziehung zum Klienten entspricht.
In unserem „kritischen Glossar“ stellen wir internationale Veröffentlichung zu Arbeiten an Begriffen vor, die zugleich wichtige Beiträge zur Theoriebildung in diesem Arbeitsfeld darstellen.
Kontaktieren Sie uns gerne bei Fragen und Hinweisen unter: dzla(at)hs-osnabrueck.de
Eine Antwort
Guten Tag,
meine Nachricht richtet sich einerseits an Herrn Müller-Hergl mit einem Dank für die Recherche und Zusammenfassung zu dem „Diogenes-Syndrom“. Sehr interessant und die Herausforderung den Personenkreis ins Boot zu holen ist sehr treffend beschrieben. Obwohl ich schon Fortbildungen zu dem Thema besucht habe, hatte ich den Begriff Diogenes noch nicht gehört. Das Thema und den Personenkreis sprechen mich und meine Kolleg*innen besonders an – es gehört u.a. zu unseren Aufgaben, diese Menschen anzusprechen und mit ihnen zu arbeiten, bis ein Pflegedienst o.a. installiert ist. D.h. die Reihenfolge bei uns ist etwas anders, als es im Video beschrieben wurde. Und es gibt eben eine besondere Brisanz für alle Beteiligten, wenn Menschen weiterhin unter diesen Umständen in den eigenen Vierwänden bleiben sollen und wollen. In der Alltagsrealität stellt es sich leider eher so dar, dass es kaum noch Pflegedienste gibt, die wir an diese Personengruppe in einem solchen Umfeld vermitteln können. Von dem Zeitfenster eine Beziehungsarbeit zu leisten, ganz zu schweigen. Trotzdem wird es wohl der einzige Weg sein, dauerhaft im Kontakt mit den Betroffenen bleiben zu können.
Andererseits möchte ich aber unbedingt auch etwas zum Aufbau der Website sagen und weiß nicht, an wen ich meinen Hinweis richten kann. Es sind so viele gute Beiträge, Artikel und Angebote auf der Seite! Leider ist das System, der Aufbau der Seite/Seiten mit so vielen Links und „Klicks“ versehen, das man (oder zumindest ich) oft völlig verwirrt ist, nicht mehr weiß wie man zum letzten Beitrag des Vormonats oder überhaupt wieder zu einem bestimmten Thema hinkommt. Manches kann ich gar nicht abrufen, weil es so lange dauert, zu verstehen wo man hinmuss oder wie was zusammengehört. Ich selbst bin sicher nicht die größte Anwendungsleuchte was die digitale Welt betrifft – trotzdem glaube ich eine mit durchschnittlichen Kompetenzen ausgestattete und vor allem interessierte Nutzerin zu sein. Vielleicht würde eine übersichtlichere Struktur helfen. Mir fällt auch eine oft sehr kleine und dünne Schrift für Links unter eingestellten Videos oder Texten auf. Überhaupt sehr viele Schriftgrößen, die die Seiten etwas unruhig machen, aber natürlich Aufmerksamkeit erzeigen sollen. Also, ich bin 46 Jahre und brauche ansonsten noch keine Lesebrille, falls Sie jetzt schmunzeln sollten…Meine Idee: Befragen Sie mal Anwender*innen oder Nutzer*innen, für die das Wissen bereitgestellt wird, wie gut sie die Seite bezüglich der Anwendung finden, vielleicht bin ich mit der Meinung nicht alleine. Und das wäre sehr schade. Man hat im beruflichen Alltag ja oft nicht die Zeit sich 30 Min mit einer Seite zu beschäftigen, zumindest nicht so regelmäßig, wie Ihre guten aktuellen Beiträge einfließen.
Vielen Dank und einen guten Start in das neue Jahr!
Melanie Poelmann