
-Kritisches Glossar-
Hintergrund:
Bekannte Instrumente zum Erkennen eines Delirs (im Kontext der Demenz) liegen für klinische Untersuchungen vor. (Observation Scale of Level of Arousal, Richmond Agitation Sedation Scale) Beide erfordern die unmittelbare klinische Beobachtung des Patienten. Anders sieht es aus, wenn Angehörige beim Arzt oder einer Klinik anrufen: hier muss am Telefon entschieden werden, ob ein Delir möglicherweise vorliegen könnte und eine Notfallaufnahme angezeigt ist. Für eben diesen Zweck wurde in den Niederlanden ein Einschätzungsinstrument entwickelt (delirium caregiver questionnaire = DCQ).
Delirien beginnen plötzliche und fluktuieren über den Tag hinweg. Alte Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sind besonders gefährdet, Delirien zu entwickeln. Delirien von Demenz zu unterscheiden ist nicht immer leicht, da beide Syndrome Überlappungen aufweisen. Delirien sollten möglichst schnell erkannt werden, da sie möglicherweise ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigungen signalisieren und schnelles Handeln erfordern. Angehörige kennen die Personen am besten und können – richtig befragt – am ehesten Auskunft geben, um einen Verdacht zu erhärten und eine Aktutbehandlung einzuleiten – oder eben auch nicht.
Methoden:
Die Studie bestand aus zwei Phasen. In der ersten Phase wurden Patienten, die in der Klinik für ein Demenzassessment angemeldet wurden, auf Vorliegen eines Delirs untersucht. In dieser Phase wurde untersucht, anhand welcher Fragen am besten der Verdacht auf ein Delir seitens des Angehörigen festzustellen ist. In der zweiten Phase wurde die diagnostische Genauigkeit des entwickelten Fragebogens in der täglichen Praxis erforscht. In zwei Memory-Kliniken wurde der Bogen im Rahmen der Anmeldung für einen Assessmenttermin von Mitarbeitern des Sekretariats und von psychiatrisch Pflegenden genutzt.
Patienten wurden in beiden Phasen umfassend untersucht, u.a. um festzustellen, ob der beim Telefonat erhobene Verdacht auch einer klinischen Untersuchung standhält. Spezifizität (bildet es auch das Delir und nicht die Demenz ab?) und Sensitivität (ist das Instrument geeignet, ‚empfindlich‘ genug die ersten Symptome als Symptome eines Delirs abzubilden?) bildeten bei der Auswahl der Fragen die wichtigsten Kriterien.
Resultate:
Insgesamt nahmen 112 Angehörige und Patienten an der Studie teil. 107 Patienten erhielten eine Diagnose und bilden die Studienpopulation. 24 aus dieser Gruppe wiesen ein Delir auf, fünf wiesen eine Überweisung für eine Notfallaufnahme auf. Wer eine derartige Überweisung hatte (dringender Bedarf einer Demenz/Delir-Abklärung), wies mit 80%er Wahrscheinlichkeit auch ein Delir auf. Die Sensitivität folgender Fragen für das richtige Erkennen eines Delirs war hoch bei folgenden Fragen: Ist die Person manchmal so wie Sie sie von vorher kennen (Fluktuation)? Können Sie die exakte Zeit benennen, zu der die Symptome ihren Anfang nahmen? Hat sich das Schlafmuster verändert? Können Sie die Situation noch für längere Zeit selber bewältigen?
Daraus ergibt sich folgender Ablauf von Fragen:
- Liegt eine Überweisung für eine dringende Abklärung vor? Wenn ja, dann ist das Risiko für ein Delir hoch und es muss nicht weiter gefragt werden: Indikation für eine schnelle Abklärung gegeben. Liegt dies nicht vor, dann: entweder
- Hat sich seit Beginn der Symptome, die eine Abklärung nahelegen, das Schlafverhalten des Patienten geändert? Oder
- Verhält sich der Patient manchmal so wie vor Beginn der Symptome? Liegt 2 und 3 beides nicht vor, dann muss keine weitere Abklärung erfolgen (kein Verdacht auf Delir). Ist aber eines der beiden oder beide der Fall (2 und/oder 3 treffen zu: Schlaf hat sich verändert oder/und verhält sich nicht so wie vor Beginn der Symptome), dann erfolgen weitere 4 Fragen:
- Sieht oder hört der Patient Dinge, die nicht vorhanden sind?
- Ist der Patient misstrauisch?
- Hat der Patient bereits früher ein Delir erlitten?
- Wurde der Patient erst kürzlich aus dem Krankenhaus entlassen?
Ist eine oder mehrere dieser Fragen positiv beantwortet worden, dann ist eine Notaufnahme zur Delirabklärung erforderlich.
In der Regel nimmt die Beantwortung der Fragen am Telefon nicht mehr als 2 Minuten in Anspruch. Die Sensitivität und Spezifizität der Fragen wird mit 73,5% angegeben.
Diskussion:
Die Fragen haben sich als wirksam erwiesen, einen Verdacht auf Delir im Telefongespräch abzufragen und damit die Zeit bis zur Delirabklärung zu verkürzen. Damit können unnötige Untersuchungen vermieden und Patienten mit einem Delirverdacht schneller einer Überprüfung zugeführt werden. Das Verfahren empfiehlt sich auch für Heimbewohner*innen, um im Falle eines Verdachts eine notwendige Untersuchung seitens des Hausarztes anzuberaumen oder auch zu vermeiden.
Quelle:
Luijendijk, H., Quispel-Aggenbach, D. et al. (2021). A short delirium caregiver questionnaire for triage of elderly outpatients with cognitive impairment: a development and test accuracy study. International Psychogeriatrics, 33(1), 31-37
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Christian Müller-Hergl
Dialogzentrum Leben im Alter (DZLA)