Demenz und Sturz

DZLA Auf die Schnelle

-Auf die Schnelle-

Etwa zwei Drittel aller Personen mit Demenz stürzen innert eines Jahres. Bekannte Präventionsstrategien (Kraft- und Balancetrainings) haben einen eher mäßigen Effekt in Bezug auf Sturzvermeidung. Vorliegende Studie fasst die Literatur zusammen, welche die Zusammenhänge zwischen kognitiven Störungen und Stützen beschreiben. Der theoretische Rahmen soll dazu beitragen, einen etwas differenzierteren und komplexeren Ansatz in der Sturzprophylaxe voranzubringen.

Risikofaktoren

Ältere Personen mit und ohne kognitive Einschränkungen teilen bestimmte Risikofaktoren wie milieubedingte Faktoren, motorische, visuelle (sowie auditive) Defizite und Nebenwirkungen von Medikamenten. Dennoch wirken sich diese allgemeinen Risiken für Menschen mit kognitiven Einschränkungen nochmals spezifisch aus:

Medikamente: Psychoaktive Medikamente wirken sich auf Synkopen (plötzlich einsetzende Bewußtlosigkeit), besonders aber auf das Vorkommen der orthostatischen Hypertension aus, werden aber aufgrund der Demenz zu wenig seitens der Betroffenen berichtet und diagnostiziert.

Physisch und sensorisch: Personen mit Demenz sitzen vergleichsweise häufiger und länger mit der Folge, dass Kraft und Balance mehr beeinträchtigt sind.

Psychologisch: Depressivität, Ängste, aber auch Verhaltensweisen wie Wandern, Agitiertheit können dazu führen, Umgebungsrisiken weniger zu erkennen, sich zu überfordern und in der Folge zu stürzen.

Umgebung/Milieu: Der Umgang mit Rollatoren und anderen Hilfsmitteln erfordert, sich beständig auf das Hilfsmittel anzupassen und Umgebungsfaktoren zu berücksichtigen (Steigungen, enge Gänge, schlechte Beleuchtung). Die damit zusammenhängenden Multitasking-Fähigkeiten überfordern die eingeschränkten Exekutivfähigkeiten.

Kognition und Schritt

Von den sechs kognitiven Funktionen (1.komplexe Aufmerksamkeit, 2.Exekutivfunktionen, 3.perzeptuell-motorische Funktionen, 4.Lernen und Erinnerung, 5.Sprache und 6.sozialer Kognition) sind insbesondere die ersten drei für das Gehen von Bedeutung. Das Gehen erfordert, den sensorischen Input (visuell, propriozeptiv, vestibulär) zu integrieren und mit geplanter Motorik zu verbinden (Faktor 2&3), dann auch auszuführen (Faktor 2) und dabei irrelevante Stimuli auszublenden und sich zugleich auf relevante Stimuli zu konzentrieren (Faktor 1). Genauer hin:

Exekutivfunktionen (2) umfassen Planung, sensorische Integration (Innen und Außen), Problemlösen und Urteilsfähigkeit – alles notwendig, um sich zielorientiert fortzubewegen und altersabhängige Einschränkungen flexibel zu kompensieren. Hindernisse müssen umgangen, enge Durchgangsstellen mit anderen abgestimmt werden. (‚modulierte Schrittfolge‘) Mit zunehmendem Alter und wachsenden Einschränkungen ist es wichtig, Gehbewegungen bewusster zu kontrollieren als in jungen Jahren (Faktor 1). Ablenkung, Irritationen und beeinträchtigte Verarbeitungsgeschwindigkeit – häufig bei kognitiven Einbußen – erhöhen die Sturzwahrscheinlichkeit, u.a. auch deswegen, weil die bewusste Kontrolle weniger gut funktioniert. Die sensorische Integration erfordert eine hohe Interaktion verschiedener Hirnbereiche, die in der Demenz zunehmend getrennt voneinander agieren (Diskonnektivitätshypothese der Demenz).

Für alle drei Funktionen sind kortikale und sub-kortikale Hirnbereiche zuständig, die von kognitiven Einschränkungen schon sehr früh und dann zunehmend betroffen sind. (Basalganglien (Motivation, Antrieb, motorische Selektion und Koordination), Cerebellum (Kleinhirn: Motorik, Automatisierung), frontale, temporale und präfrontale Regionen (Steuerung, Kontrolle, Initiative, sensorische Integration)).

Wechselseitige Beeinflussung

Körperliche Übungen und Aktivität wirken sich positiv auf verschiedene Hirnregionen aus, insbesondere auf die präfrontalen Regionen und die visospatiale Integration. Globale neurotrophische und -plastische Auswirkungen verbessern insbesondere die Exekutivfunktionen. Und umgekehrt: nicht-pharmakologische Interventionen wie kognitives Training, Doppelaufgaben (dual-task, trainiert das Multitasking) sowie Übungen im virtuellen Training wirken sich positiv auf das Gehen aus.

Man kann also von einer wechselseitigen Beziehung sprechen: Körperliche Übungen unterstützen kognitive Funktionen und das Training kognitiver Funktionen verbessert das Gehen.

Die Autoren schlagen vor, dass kognitive Testverfahren immer auch die Gehfähigkeit assessmentgeleitet einschätzen sollten, und umgekehrt: kognitive Testverfahren sollten auch bei der Beurteilung der Gehfähigkeit herangezogen werden. Eine umfassende Beurteilung kognitiver und physischer Funktionen sei Voraussetzung einer angemessenen Unterstützung. Konventionelle Kraft und Balancetrainings seien durch auf die einzelne Person abgestimmte Übungsprogramme zu ergänzen.

Quelle:

Zhang, W., Low, L.F., Schwenk, M. et al. (2019). Review of gait, cognition, and fall risks with implications for fall prevention in older adults with dementia. Dementia and Geriatric Cognitive Disorders, 48, 17-29


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Christian Müller-Hergl

Dialogzentrum Leben im Alter (DZLA)

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