Eine ‚PHÄNOMENTA‘ für Menschen mit Demenz

Dialogzentrum Leben im Alter Lichtblicke

-Lichtblicke-

Vielen wird die Phänomenta in Lüdenscheid oder das Schloß Freudenberg in Wiesbaden bekannt sein. In beiden Museen werden Menschen angeregt, sich mit ungewöhnlichen und interessanten sensorischen Erfahrungen auseinanderzusetzen. Viele Studien mit Tieren und Menschen belegen, dass ein anregendes Umfeld kognitive Funktionen verbessert, messbar in einer höheren Verdichtung und Stärke bestimmter kortikaler Regionen sowie an einer besseren Durchblutung derselben. Es liegt nahe, ein spezifisches, auf die unterschiedlichen kognitiven Defizite der Demenz ausgerichtetes Anregungsprogramm zu entwickeln und in einer verblindeten kontrollierten Studie zu schauen, ob sich kognitive Unterschiede zwischen Personen mit Demenz in der Interventions- und der Kontrollgruppe feststellen lassen.

Eben dies wurde im Rahmen einer Studie aus Frankreich durchgeführt. Vier stationäre Einrichtungen wurden ausgemacht, die sowohl über einen konventionellen wie auch einen sensorisch angereicherten Garten verfügen, wobei beide Gärten voneinander getrennt angelegt sind. In allen Einrichtungen wurden Personen mit leichter bis mittelschwerer Demenz identifiziert und je nachdem, wie ihre Zimmer lagen, drei Gruppen zugewiesen: eine Interventionsgruppe, eine Gruppe für den konventionellen Garten und eine Kontrollgruppe (die wie üblich keine spezifische Förderung erhielten). Mitarbeiter*innen wurden nun unterwiesen, Personen aus den beiden Gartengruppen nachhaltig aufzufordern und zu motivieren, den jeweiligen Garten eigenständig zu nutzen. Erwünscht war eine Nutzung etwa 4x in der Woche. Einmal zum Gartenbesuch animiert sollten die Mitarbeiter*innen die Personen beim Gartenbesuch nicht weiter begleiten. Durchaus erwünscht aber war es, wenn Menschen mit Demenz in Gruppen oder zu zweit den jeweiligen Garten besuchten.

Unabhängig von diesem Design standen beide Gärten allen Bewohner*innen prinzipiell offen: nur wurden sie nicht spezifisch seitens der Mitarbeiter*innen motiviert, diese zu besuchen.

Die Gärten mit dem anregenden Milieu enthalten 12 spezielle Objekte an vorgesehenen Orten, die sie zu Aktivitäten animieren, die mit den je unterschiedlichen kognitiven Defiziten assoziiert sind. Beispiele: Eine Sonnenuhr, deren Zeiger der Schattenwurf des/r Bewohners*in darstellt (räumliche und zeitliche Orientierung); eine Staffelei, an der man mit Pinsel und Wasserfarben den eigenen Emotionen Ausdruck verleihen kann (emotionaler Ausdruck); eine Anordnung von Spiegeln in einer gläsernen Pyramide, die das eigene Spiegelbild mit Blumen und Farben der Umgebung mischt (Selbstbild, Selbstreflexion); eine begehbare Konstruktion, die je nach Tageszeit und Licht unterschiedliche Effekte in der weiteren Umgebung erzeugt (räumliche und zeitliche Orientierung). Weitere Objekte sprechen unterschiedliche Sinne an, regen an zu Bewegung, laden ein, mit verschiedenen Tönen zu experimentieren, sich zu entspannen und zur Ruhe zu kommen.

Für alle drei Gruppen (Intervention n=40, normaler Garten n=41, Kontrollgruppe n=39, insgesamt 120) wurden Daten zu Beginn und nach 6 Monaten erhoben zu allgemeinen kognitiven Funktionen, zur Unabhängigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens, zur Schrittlänge und Balance. Die Einschätzenden kannten das Design der Studie nicht und wussten nicht, welchen Interventionen die Teilnehmenden ausgesetzt waren. In der Eingangsuntersuchung konnten keine nennenswerte Unterschiede zwischen den drei Gruppen festgestellt werden.

Nach 6 Monaten wiesen Personen aus der Kontrollgruppe und der normalen Gartengruppe schlechtere Werte auf als zuvor, Personen aus der Interventionsgruppe dagegen gering signifikante Verbesserungen in allen Bereichen: Kognition, Aktivitäten des täglichen Lebens, Stehen auf einem Bein, Schrittlänge und Balance.

Da ansonsten keine anderen Interventionen in dieser Zeit stattfanden und sich der verbesserte Effekt in allen vier Einrichtungen nachweisen ließ, ist davon auszugehen, dass die Verbesserung auf die verstärkte Nutzung eines Gartens mit kognitions-spezifischen sensorischen Anregungen zurückführen lässt. Es steht zu vermuten, dass die 12 spezifischen Module, die zur interaktiven Auseinandersetzung anregen, die zentrale Rolle spielen. Um dies weiter zu klären müsste man in einer weiteren Studie untersuchen, wie intensiv und wie lang sich die Nutzer mit den spezifischen Modulen auseinandergesetzt haben.

Die Studie stellt eine eher pragmatische Studie dar, so führen die Autoren einige Einschränkungen auf. So wurden die Personen nicht zufällig, sondern gemäß der Lage ihres Zimmer den Gruppen zugeordnet. Unklar bleibt, wie häufig die Personen in den Gruppen den Garten nutzten und wie lange sie sich mit den Modulen befassten. Weiterhin ist nicht bewiesen, ob die Mitarbeitenden die nötige Zurückhaltung an den Tag legten oder doch vermehrt Bewohner*innen zur Interaktion mit den Modulen anregten. Immerhin aber belegt die Studie doch mit einiger Plausibilität, dass kognitive anregende Umgebungen das Potential haben, den kognitiven Niedergang zu verzögern und kurzfristig sogar anzuhalten.

Quellen/Literatur:

Bourdon, E., Belmin, J. (2021). Enriched gardens improve cognition and independence of nursing home residents with dementia: a pilot controlled trial. Alzheimer’s Reasearch and Therapy, 13:116,

https://doi.org/10.1186/s13195-021-00849-w


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Christian Müller-Hergl

Dialogzentrum Leben im Alter (DZLA)

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