Die Aktualisierung des Expertenstandards „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege

– Post aus dem DNQP –

Der Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ ist der erste und bisher auch einzige Expertenstandard, der im Auftrag der Vertragsparteien nach § 113 SGB XI [1] vom DNQP entwickelt und kürzlich aktualisiert wurde.

Die Aktualisierung konnte im November 2020 abgeschlossen werden, nachdem von einer Expertenarbeitsgruppe der aktuelle Stand des Wissens auf Grundlage einer zuvor erstellten Literaturstudie geprüft wurde. Sowohl aus Sicht der Expertenarbeitsgruppe als auch aus Sicht der Fachöffentlichkeit, die im Rahmen einer öffentlichen Konsultation eingebunden wurde, ergab sich ein eher geringfügiger Änderungsbedarf am Expertenstandard. Die zentrale Kernbotschaft des Expertenstandards bleibt, dass eine Erhaltung und Förderung von Mobilität bei pflegebedürftigen Menschen nur durch gezielte, systematische und kontinuierlich stattfindende Bewegungsangebote möglich ist. Das bedeutet nicht, dass alltagsbezogene Bewegungsanlässe, wie beispielsweise der begleitete Gang zur Toilette oder in den Aufenthaltsraum nicht wertvoll sind. Sie tragen maßgeblich zur Selbstwirksamkeit bei und können soziale Teilhabe unterstützen. Sie allein reichen für eine gezielte und systematische Förderung der Mobilität aber nicht aus.

Dazu bedarf es gezielter Übungsprogramme, wie sie in der Literaturstudie des Expertenstandards beschrieben werden. Sind solche systematischen Bewegungsprogramme in den Einrichtungen erst implementiert, wird sich dies auch positiv auf alltägliche Bewegungsanlässe auswirken. Bewegungsprogramme wie „fit für 100“; „Lübecker Modell Bewegungswelten“, „Aktiv in jedem Alter“ oder das „Otago-Übungsprogramm“ sollten Einzug in die stationären Langzeitpflegeeinrichtungen finden, für das ambulante Setting ist ebenfalls das „Otago-Übungsprogramm“ geeignet.

Für Verwirrung sorgte in der Vergangenheit die im § 113a SGB XI formulierte „unmittelbare Verbindlichkeit“ eines nach diesem Verfahren entwickelten Expertenstandards für alle Pflegekassen, deren Verbände sowie die zugelassenen Pflegeeinrichtungen. Voraussetzung für diese Verbindlichkeit ist allerdings, dass der Expertenstandard im Bundesanzeiger veröffentlicht wird, was bislang nicht geschehen ist. Das DNQP erreichen seit Einführung des §113a SGB XI zahlreiche Anfragen, in denen es unter anderem. um die Verbindlichkeit oder die Bezugsmöglichkeiten des Expertenstandards geht.

Auch hier daher nochmals die klare Feststellung, dass der Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ bisher nicht verbindlich ist, sondern von den Vertragsparteien zur freiwilligen Einführung empfohlen wurde. Das heißt für die Einrichtungen in der Praxis, dass sie sich inhaltlich mit diesem Expertenstandard genauso auseinandersetzen sollten, wie mit den Expertenstandards des DNQP, immer unter der Voraussetzung, dass das jeweilige Thema für ihren Versorgungskontext von Relevanz ist. Hier sei auch auf den Blog-Betrag von April 2020 [2] verwiesen, in dem deutlich gemacht wurde, dass Expertenstandards vorrangig ein Instrument zur internen Qualitätsentwicklung sein wollen. Werden sie dazu genutzt, ergeben sich Vorteile für die externe Qualitätssicherung von selbst, indem pflegerisches Handeln systematisiert und mögliche Wirksamkeit darstellbar wird. Die Frage nach einer Verbindlichkeit stellt sich daher in den Augen des DNQP nicht, da vorrangig die Frage nach der pflegerischen Qualität und dem Handeln nach dem aktuellen Stand des Wissens in der eigenen Eirichtung stehen sollte.

Die Zukunft diesen Expertenstandards liegt jetzt wieder in den Händen der Vertragsparteien beim Qualitätsausschuss Pflege. Sie haben die Aktualisierung des Expertenstandards auf der Homepage des Qualitätsausschuss Pflege [3] veröffentlicht. Es bedarf nun der Nutzung und Anwendung des Expertenstandards in der Praxis, um einen Beitrag zur Erhaltung und Förderung der Mobilität pflegebedürftiger Menschen zu leisten. Neben den Anstrengungen in der Praxis wäre ein Förderprogramm für die Implementierung von gezielten, multimodalen Bewegungsprogrammen in der Pflege ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Quellen:

 [1] https://www.gs-qsa-pflege.de/der-qualitaetsausschuss/

 [2] https://www.dzla.de/expertenstandards-in-der-krise/

 [3] https://www.gs-qsa-pflege.de/wp-content/uploads/2020/12/Expertenstandard-„Erhaltung-und-Förderung-der-Mobilität-in-der-Pflege“-Aktualisierung-2020.pdf


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Kontakt:

Petra Blumenberg

p.blumenberg(at)hs-osnabrueck.de

www.dnqp.de


4 Antworten

  1. Lilian Salis sagt:

    Sehr geehrte Leserschaft, liebe Autorin,

    Natürlich stimme ich Ihnen dahingehend zu, dass die Finanzierung des Pflegewesens grundlegend reformbedürftig ist, und dass sich hochaufwendige Pflege nicht finanziell ‚lohnt‘ und als ökonomischer Anreiz fungieren darf.

    Umso mehr freue mich, Ihnen mitzuteilen, dass die Implementierungsproblematik des Expertenstandards mit Hilfe der Digitalisierung bereits angegangen wird. Mit der Einführung der Lindera Mobilitätsanalyse, die in über 400 Einrichtungen deutschlandweit im Einsatz ist wird der Expertenstandard Sturz bereits digital umgesetzt: Mit der Lindera Mobilitätsanalyse per App lässt sich das individuelle Sturzrisiko von Personen einfach und präzise ermitteln – mithilfe von KI, als zertifiziertes Medizinprodukt. Per Smartphone können Pflegekräfte eine 3D-Analyse der Gangbewegung erstellen. Über eine kurze Videoaufnahme und einen Fragebogen ermitteln die patentierten Algorithmen von Lindera das Sturzrisiko, geben personalisierte Empfehlungen zur Sturzprävention und ermöglichen so den Erhalt der Mobilität im Alter. Die Analyse erfolgt nach den entsprechenden Anforderungen vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) sowie des Indikatorenmodells.

    Die Einführungsbereitschaft der Einrichtungen resultiert einerseits aus Qualitätsanforderungen und andererseits aufgrund der Möglichkeit der Refinanzierung über den den Leitfaden Prävention nach §5 SGB XI mit den Krankenkassen. Bald folgt auch die Refinanzierung über Verordnung digitale Pflegeanwendungen (DiPA) sowie über den Pflegesatz.

    Infos zum Hintergrund und zur Funktionalität: https://www.lindera.de/fuer-wen/pflegefachkraefte/
    Infos zum wissenschaftlichen Ansatz finden sie hier: https://www.lindera.de/wissenschaftlicher-ansatz/fuer-wissenschaftler/

    Als ehemalige Pflegefachkraft und akademisch ausgebildete Pflegeexpertin hoffe ich, dass sich digitale Assistenzsysteme, die wirksam und evidenzbasiert arbeiten bald überall in der Regelversorgung wiederfinden und sich die Pflege wieder mehr Ihrer ureigenen Aufgabe der Care- Arbeit zuwenden kann.

    Mit besten Grüßen
    Lilian Salis

  2. Vera Schlüppmann sagt:

    Guten Tag,
    ich sehe es wie Frau Vietze. Auf dieser Grundlage „Mobilität und Beweglichkeit“ bauen alle weiteren Standards auf, bzw. sind untrennbar miteinander verbunden!! Dies wurde mir im Rahmen meiner Tätigkeit als (freigestellte) Praxisanleitung, die im Zuge der Generalistik eine deutliche Aufwertung erfahren hat, immer klarer. Ich „predige“ meinen Auszubildenden ständig (und hoffentlich auch nachhaltig!), dass der Erhalt, die Wiedererlangung und die Förderung der Mobilität das A und O sind!
    Zu diesem Thema habe ich auch eine Praxisaufgabe entwickelt die an einer Stelle, neben vielen weiteren, auch die Frage und Aufgabe beinhaltet: „Gibt es bereits einen Expertenstandard zum Thema? Recherchieren Sie.“ Dies stellt meist eine Einleitung zu einem intensiven Austausch zu diesem wichtigen Thema dar. Auszubildende sind stets sehr überrascht wenn sie herausgefunden haben, dass es längst einen hervorragenden Standard gibt, dieser jedoch nicht freigegeben, und also auch in den Einrichtungen nicht implentiert, ist!
    Ich persönlich werde keinen „Pflexit“ (mein vollstes Verständnis hierzu) ins Auge fassen, werde aber in meinen letzten gut 10 Berufsjahren dieses Thema sicher weiter im Auge behalten. Letztlich werde ich mich sehr freuen, wenn ich die Praxisaufgabe endlich einer neuen Entwicklung anpassen darf, d.h., wenn die Auszubildenden entdecken, dass endlich auch offiziell nach diesem Standard gearbeitet wird!
    Herzliche Grüße aus Münster,

    Vera Schlüppmann
    Pflegefachkraft
    Praxisanleitung

  3. Kerstin Vietze sagt:

    Guten Tag,
    mein Name ist Kerstin Vietze.
    Ich bin Altenpflegerin und habe 22Jahre in diesem tollen Beruf gearbeitet.
    Jetzt bin ich im „Pflexit“
    Die Entwicklung dieses besonderen Expertenstandards verfolge ich seit 2014.
    Es ist schade, dass die jetzigen Strukturen eine freiwillige Implementierung kaum zulassen werden. Bestimmt gibt es ein paar Pflegefirmen, welchen an einer tatsächlichen Umsetzung gelegen ist. Viele habe ihre Standard nur noch auf dem Papier. Es war nicht immer so.
    Nun, dieser spezielle Standard hätte zu einem Erfolg werden können, mit einer tatsächlichen Refinanzierung der Maßnahmen.
    Eigentlich ist diese Standard das Verbindungsstück zu allem anderen Standards.
    Mobilität und Bewegung bedeutet Eigenständigkeit und letztendlich Selbstbestimmung. Verdient wird allerdings an der Immobilität.
    Ethisch ist dies alles schon lange nicht mehr vertretbar.
    Der DNQP macht gute Arbeit.
    Sie machen gute Arbeit. Die Inhalte sind toll und nachvollziehbar, nur die Strukturen lassen die Umsetzung nicht mehr zu.
    Vielleicht finden Wissenschaft, Basis und die die unsere Unterstützung bedürfen- gemeinsam einen Weg aus diesem Dilemma. Ich hoffe es.
    Danke für Ihre Arbeit.
    Herzliche Grüße
    Kerstin Vietze

    • Petra Blumenberg sagt:

      Sehr geehrte Frau Vietze,

      vielen Dank für Ihre Rückmeldung.
      Sie haben völlig recht, dass die derzeitige Empfehlung einer freiwilligen Implementierung des Expertenstandards zur Erhaltung und Förderung der Mobilität nur schwerlich von den Einrichtungen eigenfinanzierbar ist. Zumindest nicht unter den derzeitigen leistungsrechtlichen Vorgaben. Die Erkenntnis, dass eine systematische Erhaltung und Förderung der Mobilität nur durch die organisationsinterne Einrichtung von zielführenden Programmen zur Bewegungsförderung erreicht werden kann, erschwert die Umsetzung vor Ort.
      Wünschenswert wäre eine finanzielle Beteiligung der Kostenträger an deren Implementierung.

      Darin unterscheidet sich dieser Expertenstandard auch von anderen Expertenstandards, die unseres Erachtens einfacher in den jeweiligen Einrichtungen umzusetzen sind. Aber auch die „DNQP“-Expertenstandards benötigen immer Investitionen in Form von Zeit und Geld für Fortbildungen, inhaltliche Auseinandersetzungen in Arbeitsgruppen, Neu-Konzeptionierung von altgewohnten Abläufen, bevor in der pflegerischen Praxis damit gearbeitet werden kann. Und wenn diese Investition in die Strukturen ausbleibt, stehen die Expertenstandards tatsächlich nur nutzlos m Regal herum.

      In diesem Sinne nochmals herzlichen Dank für Ihre Wertschätzung der Arbeit des DNQP verbunden mit der Hoffnung, dass pflegerische Qualitätsentwicklung doch noch irgendwann die finanzielle Unterstützung erfährt, die sie verdient.

      Herzlicher Gruß,

      Petra Blumenberg

      Hochschule Osnabrück
      Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)

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