Forschung im Pflegealltag

Dialogzentrum Leben im Alter Lichtblicke

– Lichtblick: Partizipative Forschung als Implementierungsmethode –

Die Klage ist bekannt: immer mehr von dem, was in Bezug auf eine gute Pflege von Menschen mit Demenz bekannt ist, wird nicht umgesetzt. Die Schere zwischen Intervention und Implementierung wird immer größer. Woran mag dies liegen? Wollen Mitarbeitende oder Einrichtungen dies nicht oder können sie es nicht?

Ausgangslage

Eine andere Thematik spielt in diese Fragestellung hinein: die person-zentrierte Perspektive, die insbesondere die Bedürfnisse der Klienten in den Blick nimmt, hat sich erweitert auf eine interaktionelle Perspektive, welche die Anliegen der Pflegenden gleichgewichtig mit den Anliegen der Klienten betrachtet: person-zentrierte Pflege (und die damit zusammenhängenden Interventionen) kann nur gelingen, wenn Pflegende willens und in der Lage sind, diese auch zu leisten. Die schönsten Interventionen nützen nichts, wenn Anzahl, Qualifikation der Pflegenden und die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Nur wenn man sich um die Mitarbeitenden kümmert, können diese sich um die Klienten kümmern. Reichen Schulungen dafür aus?

Zusammen genommen bedeutet dies: Interventionen müssen Pflegenden bekannt sein, einleuchten und als durchführbar eingeschätzt werden. Die Arbeit am Mitarbeitenden, am Team und dem organisatorischen Umfeld stellt die entscheidende Brücke zwischen Intervention und Implementierung dar.

Vorliegender Forschungsbericht macht die Problematik am Beispiel einer komplexen Intervention zur Einführung person-zentrierter Pflege deutlich: Kann die Art und Weise, wie Forschung durchgeführt wird, einen Beitrag dazu leisten, Intervention und Implementierung zu verbinden? Zum Beispiel dadurch, dass man die Mitarbeitenden zu Mit-Forschenden macht? Und die Forschenden zu Mitarbeitenden?

In der Regel besteht die Ausgangslage darin, dass Mitarbeitenden Interventionen vorgestellt werden, die als bewährt und evidenzbasiert gelten. Schulungen dienen dann dazu, dass die Mitarbeitenden lernen, wie man die Interventionen durchführt. Mitarbeitende erfahren sich dabei als Empfänger anderweitig erhobener Erkenntnisse, die sie zu befolgen und denen sie nachzukommen haben – also als passive Rezipienten anderweitig gewonnenen Wissens. An deren Kreation sind sie nicht beteiligt.

Vorliegende Forschung geht davon aus, dass genau in diesem Setting eine wesentliche Blockade für die Verbindung zwischen Intervention und Implementierung zu suchen ist.

Welche Intervention?

Die Intervention haben wir beschrieben in unserem ersten ForschungsNewsletter (1,14): es handelt sich um das britische WHELD-Programm (well-being and health for people with dementia), in dem Forschende die Rolle von Praxisentwicklern, Supervisoren oder Therapeuten einnehmen und Multiplikatoren aus den beteiligten Einrichtungen (hier genannt: ‚Champions‘) unterstützen, in den Einrichtungen eine person-zentrierte Praxis zu entwickeln (Kaskaden-Modell). Das Ganze erfolgt auf der Basis eines Handbuchs, in dem nicht nur Interventionen, sondern auch Implementierungsstrategien inklusive der Rolle der Forschenden im Prozess beschrieben werden. Zudem dient das Handbuch als Basis für alle Präsentationen und Schulungen, Methoden und Assessments. Pflegende erfahren ein umfassendes Arrangement von Hilfen, um zusammen mit den Champions und den supervidierenden Forschern individuelle Lösungen zu entwickeln. Dies erleichtert den Pflegenden, die Ergebnisse als die eigenen zu betrachten und umzusetzen. Sie sind Subjekte und nicht Objekte des Prozesses. Die Studie beschreibt, welche Erfahrungen Pflegende dabei gemacht haben und wie sie sich zu diesem Forschungsprojekt positionieren.

Forschungs-Ergebnisse

Die Ergebnisse werden unter drei Rubriken vorgestellt.

Gute Vorbereitung

Sehr viel Mühe wurde darauf verwandt, die Mitarbeitenden auf den Forschungsprozess vorzubereiten. Dazu gehörte auch die Erläuterung der Rollen aller Beteiligten inklusive der Pflegenden, der Champions und der Forschenden. Schriftliche Unterlagen ohne Jargon und umfassender Austausch zu Beginn ermöglichten, ein gemeinsames Verständnis des Forschungsprojektes zu gewinnen. Das Ziel des Projektes, individuell Möglichkeiten person-zentrierter Pflege gemeinsam zu entwickeln, leuchtete schnell ein und bildete einen wesentlichen Teil der Motivation. Die zugesagte enge Begleitung weckte die Hoffnung, etwas Nützliches zu lernen und Probleme lösen zu können. Mitarbeitende der Pflege äußerten den Eindruck, einer gesellschaftlich wenig anerkannten Profession anzugehören: die Aussicht, aktiv an Forschung teilzuhaben, wirkte dieser Einschätzung entgegen.

Im Alltag zusammenarbeiten

Da immer dieselben Forscher in einem Bereich begleiteten, entwickelte sich eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung. Pflegende erfuhren die Forschenden als hilfreich bei und interessiert an den Herausforderungen des Alltags. Oft deckten sich die Interessen der Pflegenden und der Forschenden, und die Pflegenden erfuhren unmittelbar Hilfe und Unterstützung bei der Umsetzung von Interventionen. Viele gewannen den Eindruck, durch konkrete Demonstrationen der Forschenden zu lernen, Situationen anders wahrzunehmen und das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern (Lernen am Modell). Anhand von Alltagssituationen wurde vor Ort eingeübt, sich in die Situation der Klienten zu versetzen und dann zu überlegen, was dies für das eigene pflegerische Handeln bedeutet. Gemeinsam konnten kleine Erfolge gefeiert werden. Die Forschenden meldeten immer wieder zurück, was schon gut gelingt und umgesetzt wurde. Dies wurde als sehr bestätigend erfahren, man schaute mehr mit Stolz auf die eigene Arbeit. Mit der Zeit wurden viele Alltagsproblem nicht als Last, sondern als interessante Herausforderung empfunden. So wurde beobachtet, dass zunächst zeitintensivere Aktivitäten die Arbeitslast verringern. Eben diese Erfahrungen wirkten sich dann auch positiv auf die Teamentwicklung, die Kohäsion und die Zielorientierung aus. Sehr viel mehr als vorher wurden Fallbesprechungen und andere dienstliche Besprechungen durchgeführt.

Nicht vorhergesehene Wirkungen

Im Forschungsprozess erwies es sich als notwendig, konkrete Begebenheiten festzuhalten und Assessments auszufüllen. Dadurch verbesserte sich im Nachgang die fachliche Kommunikation und Dokumentation. Die Forschungsmethodiken flossen Stück für Stück in den Alltag ein und blieben auch nach Beendigung des Projektes erhalten. Das Verschriftlichen war nun eng verbunden mit bestimmten fachlichen Kommunikationen, so dass sich das eine aus dem anderen ergab. Wie selbstverständlich wurde diese Arbeitsweise an neue Mitarbeiter weitergegeben. Es entstand der Eindruck, dass sich über die enge Zusammenarbeit mit den Forschenden die Denk- und Arbeitsweisen des Teams sowie der Zusammenhalt und das gemeinsame Lernen im Team nachhaltig verändert hatten. 

Diskussion

Forschung selbst kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, gewünschte Interventionen in den Alltag zu implementieren. Wie Pflege durchgeführt wird hängt davon ab, wie Mitarbeiter im Team zusammenarbeiten. Da problemlösend und begleitend in diese Zusammenarbeit suchend, unterstützend, forschend eingegriffen wurde, konnte die Teamarbeit entscheidend positiv beeinflusst werden.

Die Ausgangslage aller Forschung in diesem Feld muss davon ausgehen, dass die Bedürfnisse der Klienten für die Mitarbeitenden im Vordergrund stehen und eben dies körperlich und emotional hoch belastend sein kann. Dies anzuerkennen und mit dieser Erfahrung zu beginnen ist einer der Schlüssel für den Erfolg des Programms.

Forschende wurden als Teilnehmende, als Verbündete wahrgenommen. Teil einer Studie zu werden ging mit einem subjektiv empfundenen Statusgewinn einher. Es liegt also mitunter an den Forschenden selbst, dass die Brücke von Interventionen zur Implementierung geschlagen werden kann.


Literatur

Fossey, J., Garrod, L., Lawrence, V., Testad, I., Stafford, J. Murray, J. (2020). “We should see her like part of the team”: an investigation into care home staff’s experience of being part of an RCT of a complex psychosocial intervention. Aging & Mental Health, 24(1), 178-185

Vgl. dazu eine weitere Studie, welche die Erfahrungen der Forschenden selbst untersucht:

Fossey, J., Garrod, L., Guzman, A., Testad, I. (2020). A qualitative analysis of trainer/coach experiences of changing care home practice in the Well-being and Health in Dementia randomized control trial. Dementia, 19(2), 237-252


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