Special Care Units

-Auf die Schnelle-

Einführung:

Obgleich viele Studien zu segregativen Einrichtungen für Menschen mit Demenz (Special Care Units=SCU) vorliegen, besteht Forschungsbedarf zu der Frage, wie und warum sie die erwünschten Wirkungen zeigen. SCU zeichnen sich zumeist u.a. durch ein bestimmtes Pflegekonzept, eine gezielte Schulung der Mitarbeitenden, eine angepasste Architektur, einen besonders gestalteten Garten aus und streben nach einer optimalen Anpassung von Milieu und Klienten Bedürfnissen. Unklar ist, wie genau das Pflegekonzept zu den gewünschten Ergebnissen führt.

Vorliegende Studie untersucht, wie und unter welchen Umständen ein spezifisches Konzept für Menschen mit moderater Demenz und herausforderndem Verhalten das Befinden und Verhalten von Menschen mit Demenz und der sie pflegenden Personen beeinflusst. Das Pflegekonzept umfasst drei Wohngemeinschaften mit einem häuslichen Milieu, Schulung und Supervision der Mitarbeitenden, ein personzentriertes Pflegekonzept orientiert an Feil zusammen mit einer Reihe nicht-pharmakologischer Interventionen. Erwünschte Ergebnisse sind sinnvolles Tätig Sein, soziale Teilhabe und sich Wohlfühlen in Bezug auf Ort und Affekt.

Methode:

Es handelt sich um eine qualitative Studie, die Daten aus Einzel- und Gruppeninterviews sowie Beobachtungen auswertet. Interviewt wurden ausgewählte Pflegende sowie Leitungskräfte. Die Studie wurde in drei österreichischen Heimen durchgeführt: dabei werden Ergebnisse einer Einrichtung mit 2 SCUs verglichen mit Ergebnissen zweier eher konventioneller Pflegeheime ohne spezielle Ausrichtung auf Menschen mit Demenz.

Resultate:

Insgesamt wurden 16 6-stündige Beobachtungseinheiten zu 49 HeimbewohnerInnen vorgenommen, die mit insgesamt 76 Mitarbeitenden Kontakt hatten. Weiterhin wurden 3 Fokusgruppeninterviews mit 17 beteiligten Pflegenden sowie 11 Einzelinterviews mit leitenden Pflegenden und Heimleitungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden unter 3 Hauptkategorien vorgestellt. Hinzu kommen 6 Kontextaspekte.

Interventionen für Pflegende: Unverzichtbare Basis sind Schulungen und Trainings für alle Teammitglieder. Gemeinsame Fallbesprechungen mit Lösungsorientierung bilden immer wieder neu den Ausgangspunkt für gemeinsame Lernprozesse. Das Team erweitert und verändert somit beständig sein Wissen und seine Fähigkeiten. Das Validationstraining schafft ein gemeinsames Verständnis und Sprache, die dazu führt, dass Pflegende vergleichsweise viel mehr Zeit mit den Bewohnern in gemeinsamen Aktivitäten und sozialen Situationen verbringen. Trotz bestehenden individuellen Unterschieden gleichen sich die Arbeitsweisen aneinander an, so dass eine stabile und beständige Pflegekultur entsteht. Es entwickelt sich ein positives, von einem gemeinsamen Arbeitsverständnis getragenes Arbeitsklima: gemeinsame Besprechungen und Fallarbeit geben jedem die Gelegenheit, sich einzubringen und Anerkennung zu finden. Dieses Arbeitsverständnis trägt dazu bei, sich gegenseitig zu unterstützen und aufeinander Acht zu geben. Insgesamt wirkt sich dieser Teamgeist in geringem Personalwechsel und damit im Erhalt von Wissen und Fähigkeiten aus.

Räumliche und personelle Zusammenhänge: Ein möglichst häusliches Wohnumfeld, das leicht und eher indirekt Orientierung vermittelt, zum Aufenthalt im Freien einlädt, verschiedene Räume für verschiedene Funktionen vorhält erlaubt den BewohnerInnen, sich frei zu bewegen, Nischen zu finden, Entdeckungen zu machen. Ein geringer Geräuschpegel und insgesamt eine eher unterstimulierende Umgebung tragen zu einer ruhigen, gelassenen Atmosphäre bei. Mitarbeitende legen einen Schwerpunkt auf gemeinsames Zusammen – und Tätig sein und integrieren Pflege und Betreuung. – Einrichtungen der Kontrollgruppen unterschieden sich hier deutlich durch ein höheres Reizniveau und eine deutliche Trennung von Pflege und Betreuung.

Bewohnerbezogene Interventionen: Entspannung, Aktivitäten und soziale Interaktion sind zumeist eng zusammenhängende Interventionen, so dass ein und dieselbe Aktivität für den einen entspannend, für die andere anregend ausfallen kann und umgekehrt: verschiedene Interventionen können den gleichen Effekt haben. Entspannung wird in erster Linie durch entspannte Mitarbeitende vermittelt. Bewegen und sprechen sie langsam und ruhig, dann hat dies eine beruhigende Wirkung auf die Gesamtdynamik der BewohnerInnen. Entspannung ist dabei kein Gegensatz zu Aktivierung, eher umgekehrt: passen die Aktivitäten und werden sie auf gelassene Weise angeboten, dann tragen angemessene Aktivitäten eher zur positiven sozialen Interaktion bei. Aktivitäten werden für Einzelne und Gruppen geplant und haben eine hohe Priorität. Es wird dann mehr miteinander gesprochen, gescherzt, interagiert. Wichtig ist die beständige Anpassung der Aktivitäten an die vorhandenen Ressourcen. In Bezug auf soziale Interaktion sind die BewohnerInnen auf Impulse seitens der Mitarbeitenden angewiesen. Auch das passive Dabeisein und Zuschauen kann den Personen das Gefühl vermitteln, dazuzugehören und Teil der Gemeinschaft zu sein. Im günstigen Fall lernen die BewohnerInnen einander kennen, halten sich an soziale Regeln, finden sich in Paaren und Kleingruppen und entwickeln auch Zuneigungen.

Die Autoren identifizieren 6 Kontextaspekte: Die Klienten der Heime verändern sich, weisen eine schwerere Demenz mit höherer psychiatrischer Co-Morbidität auf und einem komplexen physischen und psychischen Pflegebedarf. Viele Bewohner können an den sozialen Aktivitäten kaum mehr mitmachen und benötigen mehr Einzelarbeit. (1) Menschen mit Demenz verändern ihr Verhalten oft unvorhersehbar und plötzlich, was die Bedeutung geplanter Aktivitäten einschränkt. Vermehrt kommt es auf ein flexibles Situationsmanagement an. (2)  Je weniger die Klienten eigene Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, desto mehr rückt die Zusammenarbeit mit Angehörigen in den Mittelpunkt. (3) BewohnerInnen können auch sehr aneinander Anstoß nehmen.- Dies kann bis hin zur Gewalt gehen und erfordert, dass Pflegende vermehrt intervenieren. (4) Pflegende und Mitarbeitende sind der Überzeugung, dass es eines gewissen Maßes an grundlegender Empathie Fähigkeit bedarf, die man nicht antrainieren könne. (5) Eine starke, ja charismatische Leitung prägt den Interaktionsstil der Mitarbeitenden untereinander und mit den Bewohnerinnen in gleicher Weise. Dies beeinflusst die Pflegekultur sehr nachhaltig. (6)

Diskussion:

Die Bedeutung der Teamdynamik für eine personzentrierte Pflege kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nicht nur sind Pflegende selbst die wichtigste Intervention, in sie muss auch am meisten investiert werden. Ein stabiles Team mit einem geringen Wechsel bildet die Basis für gute Pflegearbeit. Die anderen Aspekte siedeln sich ermöglichend, erleichternd um diesen konzeptuellen Kern an. Das Design erleichtert das soziale Zusammensein, ermöglicht gemeinsame Aktivitäten und soziale Interaktion. Was die Autoren so nicht ansprechen aber wohl implizit meinen ist der Umstand, dass aus Entspannung, Aktivitäten und sozialer Interaktion ein gemeinsamer Alltags-Fluß entsteht, in dem jede/r seinen/ihren Platz findet. Eben darin scheint ein wesentlicher Bestandteil des Wohlbefindens zu bestehen.

Die erwähnten Kontextfaktoren zeigen auf, dass sich die Rahmenbedingungen verändern und erhebliche Anpassungen erforderlich scheinen. Wohin dies führt und welche Anpassungen dies sein könnten wird nicht beschrieben.

Abschließend betonen die Autoren den Zusammenhang und Zusammenklang von Pflegekonzept, Personal- und Teamentwicklung, Milieu und Leitung/Führung. Führungsarbeit besteht darin, den Zusammenhang dieser Faktoren immer wieder so auszurichten, dass es für das Team und die Klienten passt. Dann entsteht ein Kontext, in dem sich hochwertige Pflege entwickeln kann.

Quellen/Literatur

Adlbrecht, L., Bartholomeyczik, S., Mayer, H. (2021). Mechanisms of impact and contextual aspects of a dementia special care unit in long-term care: a process evaluation. BMC Geriatric, 21:680, https://doi.org/10.1186/s12877-021-02637-5


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Christian Müller-Hergl

Dialogzentrum Leben im Alter (DZLA)

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